Spitzig heißt der bewaldete Hügel, der sich – nur durch den schmalen Flurstreifen im Strieth getrennt – in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gerhardsberg befindet. Seine äußere Form verlieh ihm den Namen. Es handelt sich um eine spitz zulaufende Erhebung.
An seinem Hang steht der wohl älteste Baum der Siener Gemarkung: eine Eiche, deren Alter ein Baumchirurg um 1980 auf nahezu 500 Jahre schätzte.
Untersuchungen, die eine exakte Altersangabe zulassen, wurden allerdings nie durchgeführt. Rund 35 m reckt sie sich in die Höhe. Der Umfang ihres Stammes beträgt fast 6 m – bei einem Durchmesser von etwa 2 m.
Tief sind die Falten ihrer Haut, und groß ist die Zahl ihrer Runzeln und Narben. Sie alle verraten die vielen Wunden, die ihr Wind und Wetter im Verlaufe ihres Lebens zugefügt haben. Einige ihrer altersschwachen Äste wären längst abgebrochen, hätte der Baumchirurg nicht hin und wieder stärkende und stützende Maßnahmen ergriffen. Doch ihr Stolz ist geblieben. Zwar etwas füllig geworden, aber dennoch ungebeugt trotzt sie weiterhin standhaft allen Stürmen der Zeit. Heute steht die dick Ääsch uff Schpitzisch, wie die Siener sie liebe- und respektvoll nennen, unter Naturschutz.
Was könnte sie uns nicht alles erzählen! Wie viele kleine und große, schöne und schreckliche Ereignisse sind im Laufe der Jahre wohl an ihr vorübergezogen!
Es könnte durchaus sein, dass sich Siener Bauernfamilien im 30-jährigen Krieg mehrmals hier bei ihr im Wald vor der plündernden und mordenden Soldateska versteckten, und es ist nicht auszuschließen, dass gut 100 Jahre später die adlige Gesellschaft des Fürsten Dominik sich gelegentlich nach einer anstrengenden Jagd im Schatten ihrer breiten Baumkrone ausruhte.
Vielleicht hat sie im März des Jahres 1798 mitangesehen, wie Siener Burschen in ihrer Nähe einen Baum fällten, ihn mit bunten Bändern schmückten und mitten in Sien als Freiheitsbaum aufstellten, und vielleicht wurde sie einmal heimlich Zeuge eines nächtlichen Raubzuges der berüchtigten Schinderhannesbande. Wer weiß?
Ganz gewiss aber könnte sie uns vom Lärm der großen Siener Markttage im 19. Jahrhundert erzählen, der, wenn der Wind günstig stand, zu ihr herüberschallte, und ebenso gewiß vom Fleiß der Siener Bauern, die jahrein, jahraus im Wald ihr Brennholz schlugen und dem kargen Boden ihrer Äcker das tägliche Brot abrangen.

Kriegs- und Friedenszeiten hat sie überstanden, diese mächtige, stolze Eiche. Mit ihren 500 Lebensjahren hat sie das Alter von einigen Generationen ihrer Artgenossen, mindestens aber von 16 Menschengenerationen auf dem Buckel, und es ist anzunehmen, dass sie auch uns noch überleben wird.

Quelle: Ruth und Ulrich Eckhoff: Vergessene Geschichten, die uns die Flurnamen von Sien erzählen; Sien 2001
1928 - vor der Eiche

 

Schulausflug mit Lehrer Theo Hiedels zur „dicken Eiche“ – im Mai 1928